Kolonialismus und „Rasse“

Deutscher Kolonialismus

Das deutsche Kolonialreich, das etwas mehr als dreißig Jahre bestand, war von vielen Grausamkeiten gezeichnet, die der indigenen Bevölkerung im Rahmen der Gewaltherrschaft zugefügt wurden. Einer dieser Gräueltaten ist als erster Völkermord im 20 Jahrhundert in die Geschichte eingegangen. Deutschland hat, wie auch die anderen Kolonialmächte, so viel Land und so viele Menschen wie irgend möglich ausgebeutet. Offiziell wurde der deutsche Kolonialismus mit dem international florierendem Handel begründet. Der bekannte deutsche Kolonialherrscher Carl Peters schrieb, dass „die koloniale Basis in ihrer Essenz ein Geschäft für Staaten ist“. Zur Ausbeutung vorhandener natürlicher Ressourcen wurde die indigene Bevölkerung in den Kolonien hauptsächlich als ein überflüssiges Hindernis betrachtet. Zugleich diente die Bevölkerung, lebend wie auch tot, der deutsche Wissenschaft als Untersuchungsgegenstand.

Als die deutsche Kolonialadministration durch „Kontrollmaßnahmen“ das Land und Vieh der indigenen Bevölkerung beschlagnahmte und 70 Prozent der Ländereien in Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) an deutsche Siedler überschrieb, wurde der einheimischen Bevölkerung ein Großteil ihrer Lebensgrundlage genommen. Die Herero und Nama, die beiden größten ethnischen Gruppen in Deutsch-Südwestafrika zu dieser Zeit, gerieten so in Abhängigkeit zu den Kolonialisten. Letzteres löste eine Rebellion der einheimischen Bevölkerung gegen die koloniale Herrschaft aus, welche als Krieg der Herero und Nama von 1904-1908 bekannt wurde. Die beiden indigenen Gruppen wurden dabei nahezu ausgelöscht; ein Akt des Völkermordes, den die deutsche Regierung bis heute nicht anerkennt. Und das obwohl von den vor dem Krieg etwa 80.000 in Namibia lebenden Herero bei einem Zensus im Jahr 1911 nur noch 15.000 Menschen überlebt haben, und auch die Bevölkerungszahl der Nama von 20.000 auf 10.000 Menschen halbiert wurde. Die Bevölkerungszahlen der beiden indigenen Gruppen sanken infolge der Zustände in der Arbeitslagern und der Sklavenarbeit in den Jahren nach dem Völkermord noch weiter. Darüber hinaus endete der Maji-Maji Krieg vom 1905 bis 1908 in Deutsch-Ostafrika mit dem Tod von 80.000 Indigenen. In Folge der Zerstörung des Ackerlandes starben weitere 300.000 Menschen an Hunger. 

Die Vernichtung menschlichen Lebens und der Völkermord in Deutsch-Südwestafrika (heutiges Namibia) löste bei der Kolonialadministration keine Bedenken aus. In den Worten des Kolonialverwalters General Lothar von Trotha: „Die kolonisierende Rasse will der einheimischen Bevölkerung nicht zum Glück verhelfen, sondern kümmert sich um ihren eigenen Vorteil und Profit“. Ziel des Krieges gegen die Herero und Nama war von Trotha zufolge deren Vernichtung: „Afrikanische Stämme [sic] fügen sich nur der Gewalt. Die Ausübung dieser Gewalt in Form eines groben Terrors und sogar Grausamkeit war und ist meine Strategie“. Von Trotha befahl das Erschießen aller Herero auf deutschem Territorium. Außerdem trieb er Herero in die Omaheke Wüste, in der die Wasserstellen von deutschen Kolonialisten vergiftet worden waren. Infolgedessen verdursteten die meisten der Herero. Die wenigen Überlebenden der Herero, vor allem Frauen und Kinder, und Angehörige des Nama Volkes wurden in Konzentrationslager gebracht, zum Beispiel in das Shark Island Konzentrationslager (auch Toteninsel genannt). In diesem Kontext wurde zum ersten Mal das Wort Konzentrationslager von einer deutschen Regierung gebraucht. Im Jahr 1906 sprach ein deutscher Militärbericht unverblühmt von der „Vernichtung des Volkes der Herero“. 



Quellen:

  • Conrad, S. (2012). German colonialism: A short history. Cambridge: Cambridge University Press.
  • Mamdani, M. (2002). When Victims Become Killers: Colonialism, Nativism, and the Genocide in Rwanda. Princeton University Press, Princeton, 2001.
  • Pogge von Strandmann, H. (2011). "The Purpose of German Colonialism, or the Long Shadow of Bismarck's Colonial Policy," in V. Langbehn & M. Salama, (Eds.), German Colonialism: Race, the Holocaust, and Postwar Germany. New York: Columbia University Press.

Konstruktion von „Rasse“ als Wissenschaftskategorie

Die Konstruktion einer „Rassentheorie“ war wesentlich auf den Beziehungen der europäischen Kolonialmächte zu ihren Kolonien begründet. Um die Kolonialherrschaft durchzusetzen, waren aus europäischer Perspektive neue Kategorien nötig, um die politische wie rechtliche Trennung von Kolonialisten und Kolonisierten zu rechtfertigen. „Rasse“ wurde demnach als determinierender Faktor der Abgrenzung verwendet: „Nordische Rasse“/ „Alpine Rasse“/ „Arische Rasse“ vs. „N---- [N-Wort]⊗ Rasse“; „weiß“ vs. „Schwarz“, etc.

Zusätzlich musste das Konzept der „Rasse“ auch wissenschaftlich konstruiert werden. Europäische Wissenschaftler_innen unterschiedlichster Disziplinen forschten und entwarfen Theorien zu dem Konzept der “Rasse”. Allgemein wurden die verschiedenen „Rassen“ auch als eine Wertehierarchie verstanden, welche die europäischen „Rasse(n)“ als die höchstwertigste(n) erachtete. Die Fortpflanzung zwischen solchen europäischen und den sogenannten „minderwertigen Rassen“ wurde als Gefahr für die europäischen „Rasse(n)“ und als Rückschritt in der Evolution des Menschen betrachtet.

Folglich gaben europäische Wissenschaftler_innen verschiedenster Disziplinen und Institute einer „kolonialen Ordnung“ eine Bedeutung und Form, mit denen sie nicht nur die „zivilisatorische Mission“ sondern auch die Ausbeutung von Menschen und Ressourcen innerhalb der Kolonien unterstützten.

⊗ Wir verweigern die Reproduktion der ursprünglichen Wörter und deren rassistische und erniedrigende Absicht.

Quelle:

  • Grosse, P. (2000). Kolonialismus, Eugenik und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1850-1918. Frankfurt: Campus Verlag.

Konstruktion von „Rasse“ durch Eugenik

Das Konzept der Eugenik beinhaltet die Auswahl und Förderung bestimmter genetischer Eigenschaften des Menschen, wie beispielsweise bestimmter körperlicher Merkmale. Das Ziel ist die biologische „Verbesserung“ des Menschen oder spezifischer „Rassen“. In diesem Sinne wurde Eugenik als Begriff erstmals von dem britischen Wissenschaftler und „kolonialen Entdecker“ Francis Galton (1822-1911) „angewendet“. In Deutschland wurde der Begriff der „Rassenhygiene“ synonym dazu verwendet.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Eugenik dann zu einer weitverbreiteten wissenschaftlichen wie politischen Bewegung geworden. In vielen Ländern wurden verschiedenste Eugenik-Gesetze wie Zwangssterilisation und Heiratsbeschränkungen erlassen, um die Reproduktion bestimmter Gruppen zu kontrollieren und einzuschränken. In Deutschland war beispielsweise ab 1935 die Heirat von Juden, Sinti, Roma und Schwarzen Menschen mit Menschen „germanischen Blutes“ verboten. Insbesondere Menschen mit psychischen Erkrankungen und jene, die man als „minderwertige Rassen“ klassifizierte, wurden oft sterilisiert oder gar ermordet.

Für die Anhänger der Eugenik stellte die Fortpflanzung mit jenen „minderwertigen Rassen“ eine Gefahr für die „überlegenden Rassen“ Europas und die genetische Evolution der Menschheit dar. Auch Francis Galton sprach in Berichten von seinen Kolonialexpeditionen von der Minderwertigkeit der afrikanischen Völker, und bekräftigte damit seine rassistische Weltanschauung. 

Quelle:

  • Friedländer, S. (2008). Das Dritte Reich und die Juden. Die Jahre der Verfolgung 1933–1939. Munich: Deutscher Taschenbuch Verlag.