Erinnerungen zurückverfolgen

Warum wird nicht erinnert?

Beim Lesen und Recherchieren der Geschichte der Ihnestraße 22 kamen einige zentrale Fragen auf: Warum wird sich an diese koloniale Geschichte nicht erinnert? Warum ist diese Geschichte nicht Teil des kollektiven Gedächtnisses am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft?

Motiviert von diesen Fragen sind wir zuallererst den bestehenden Erinnerungsprojekten zur Geschichte des Gebäudes in der Ihnestraße 22 nachgegangen und haben erforscht, wie bereits erinnert wird: (1) Mit einer Gedenktafel am Haupteingang der Ihnestraße 22 und (2) im Rahmen des Forschungsprogramms der Max-Planck-Gesellschaft Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Dafür führten wir Interviews mit Expert_innen wie Dr. Christl Wickert (Initiatorin der Gedenktafel), Prof. Hans-Walter Schmuhl (Autor von Grenzüberschreitungen: Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, 1927-1945) und Prof. Carola Sachse (Direktorin des Forschungsprogramms der Max-Planck-Gesellschaft). Diese Gespräche zeigen, wie Erinnerungspolitik in der Vergangenheit und bis heute konstruriert wird.

Unsere Recherche über die Kolonialgeschichte zeigt auch, dass dieser spezielle Teil der deutschen Geschichte immer noch nicht - und wenn dann unzureichend - erinnert wird und es Leerstellen gibt. Wir haben daher mit Herero-Aktivist Israel Kaunatjike und Nama-Aktivistin Ida Hoffmann über ihre Wahrnehmung dieser Verdrängung von kolonialer Geschichte und ihren Erwartungen für eine neue Erinnerungspolitik am Institut und in ganz Deutschland gesprochen.

Im letzten Teil zeigen Interviews mit Professoren_innen und Studenten_innen die Realitäten von Erinnerung und die Reflexion darüber am heutigen Otto-Suhr-Institut auf. Wir haben Fragen zur Geschichte der Ihnestraße 22, zur Gedenktafel und zu möglichen Verbindungen zwischen der Forschung unter dem nationalsozialistischen Regime und Deutschlands Kolonialgeschichte gestellt. Ergänzend haben wir Ideen für ein angemessenes Gedenken an die Kolonialgeschichte des Gebäudes und zur Integration von Ethik und Verantwortung in die gegenwärtige Forschungspraxis gesammelt.