Wie bereits erinnert wird

Gedenktafel

Die Geschichte

Die Gedenktafel auf der rechten Seite des Haupteingangs der Ihnestraße 22 wurde 1988 angebracht. Ihre Anbringung war das Ergebnis jahrelanger Recherchen und des Aktivismus von Forscher_innen und Beschäftigten des Otto-Suhr-Institut. .

 

Lange war nicht viel von der Geschichte des Gebäudes der Ihnestraße 22 und den Verbindungen des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWI-A) zum Kolonialismus und Nationalsozialismus bekannt. Weder die Max-Planck-Gesellschaft (MPG), die Nachfolgeinstitution der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, noch die Freie Universität Berlin bekannten sich nach dem zweiten Weltkrieg offiziell zur dieser historischen Verbindung. Die Doktorandin Anna Bergmann hatte sich erstmal 1983 mit der Geschichte des Instituts beschäftigt und versucht, eine Diskussion zur rassistischen Geschichte am Otto-Suhr-Institut anzustoßen. Da die damalige Forschung über die medizinischen Verbrechen im Nationalsozialismus und die Geschichte der Rassenhygiene noch in ihren Kinderschuhen steckte, passierte erstmal nichts. 

Erst als der bekannte Humangenetiker Benno Müller-Hill 1985 basierend auf seiner Forschung (Autor von Tödliche Wissenschaft. Die Aussonderung von Juden, Zigeunern und Geisteskranken 1933-1945) eine Gedenktafel anregte, wurde die Universität aktiv.

Währenddessen hatten Anna Bergmann, Christl Wickert und andere Wissenschaftler_innen ihre Forschung in den Archiven fortgesetzt. Dabei stießen sie mehrfach auf Widerstand und Anna Bergmann erhielt Hausverbot im MPG-Archiv.

Christl Wickert beschreibt ihre Recherche im MPG-Archiv:

„Die wenigen Ordner, die uns vorgelegt wurden, waren 1985 immer noch in alten Aktenordnern, Reste von rausgeschnittenen Teilen waren deutlich sichtbar… Unterstützung von dem Archiv für die Recherche für weitere Beweise wurde von dem Archivar mit der Begründung abgelehnt, dass die MPG überhaupt kein Interesse an der Geschichte des Kaiser-Wilhelm-Instituts während der NS Zeit hätte, da es nicht Teil der Geschichte der MPG sei und Archivmaterial schlicht übertragen wurden. “

Nachdem der Fachbereichsrat dann 1986 einen Textvorschlag für eine Gedenktafel beschloss, folgten weitere Diskussionen und Auseinandersetzungen über die genauen Inhalte der Tafel, u.a. mit dem Präsidium der Freien Universität und der MPG. Da es bezüglich des Textes Differenzen zwischen der MPG und dem Institut gab, passierte erstmal nichts. Aus Frust darüber entwarf eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe (kurz: Projektgruppe) ein Konzept für eine Dauerausstellung und installierte eigenständig eine erste Gedenktafel am Gebäude im September 1987. Diese Tafel wurde dann am 15. Juni 1988 offiziell von der Freien Universität Berlin durch die heutige Tafel ersetzt.

Anna Bergmann erinnert sich:

"Götz Aly, Gabriele Czarnowski, Annegret Ehemann, Susanne Heim und ich formulierten aufgrund unserer langjährigen und vom MPG damals systematisch behinderten Recherchen den Text für eine Gedenktafel, die Benno Müller-Hill angeregt hatte. Wir installierten auf eigene Kosten eine Tafel am 15. September 1987, ohne Genehmigung des Präsidialamtes, und riefen eine Pressekonferenz mit großer Unterstützung des damaligen Dekans Prof. Dr. Ulrich Albrecht ein. Mich hatte ursprünglich der Fachbereichsrat des Otto-Suhr-Instituts wegen der Formulierung einer Gedenktafel angesprochen, weil ich ihm als Promovierende und Lehrbeauftragte an diesem Institut bereits mit Schreiben vom 18.11.1983 mitgeteilt hatte, dass sich im Haus der Ihnestraße 22 das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik befunden hatte, nachdem ich im Bundesarchiv Koblenz im Rahmen meiner Dissertation über die Geschichte der Rassenhygiene und Eugenik im Deutschen Kaiserreich in einer Akte auf den Briefkopf des KWI in der Ihnestraße 22 gestoßen war. "

Obwohl der Textvorschlag der Projektgruppe fast komplett übernommen wurde, fehlen zwei entscheidende Sätze auf der bis heute installierten Gedenktafel: Nach 1945 setzten die Täter - bis auf wenige Ausnahmen - ihre wissenschaftlichen Karrieren fort. Ihre Forschungsergebnisse nutzt die medizinische Wissenschaft bis heute. Stattdessen wird nur auf Verschuers weitere Lehrtätigkeit und die Eigenverantwortung der Wissenschaftler_innen verwiesen.

Die Bronzetafel hängt bis heute am vorderen Eingang des Gebäudes Ihnestr. 22.

Interview mit Dr. Christl Wickert (Audio)


Forschungsprogramm

Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus

Von 1999 bis 2004 untersuchte ein von der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) in Auftrag gegebenes Forschungsprogramm den spezifischen Beitrag der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) – heute MPG – und ihrer Wissenschaftler_innen zum nationalsozialistischen Regime. Das Anliegen des Forschungsprogramms war es, die Geschichte der KWG kritisch aufzuarbeiten und wurde von Prof. Carola Sachse von 2000 bis 2004 geleitet. Das Forschungsprogramm wurde im Jahr 2005 mit einer Reihe von Publikationen abgeschlossen. Das Hauptwerk besteht aus 17 Büchern, welche die verschiedenen Forschungsfelder der KWG, die Forscher_innen, ihre Beteiligung an der nationalsozialistischen (NS) Politik sowie auch die menschlichen Experimente an den verschiedenen Forschungsinstituten untersuchen. Ein Fokus im Forschungsprogramm war das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWI-A) und seine Beziehungen zu Josef Mengele und dem Konzentrationslager Auschwitz. Kernpunkte waren die Erforschung der Rolle der Wissenschaft in der Legitimation des NS-Regimes, die Auswirkungen des bereitgestellten Expertenwissen auf Politikprozesse und die Verletzung ethischer Grundsätzen in der Forschung. Die Rolle des deutschen Kolonialismus wurde im Forschungsprogramm der MPG ausgeklammert.

Projektleiter Benoit Massin beschreibt im Nachhinein das Forschungsinteresse des KWI-A wiefolgt:

"'Rasse' war ein zentraler Begriff für die nationalsozialistische Ideologie und Politik. Viele Aspekte, die uns heute an den Verbrechen des Nationalsozialismus im Vergleich zu anderen totalitären Systemen singulär erscheinen, wurden im Namen der 'Rasse' verübt. Die Mehrzahl der deutschen Humangenetiker und Rassenanthropologen begrüßten die Bemühungen der Nationalsozialisten, ihre Politik auf Rassenbiologie zu gründen. Sie behaupteten schlicht, der Nationalsozialismus selbst sei 'angewandte Rassenkunde'. Der Nationalsozialismus rückte somit die 'Wissenschaft von der Rasse' (Rassenkunde, Rassenforschung oder Rassenbiologie) ins wissenschaftliche Rampenlicht. Diese neue politische Bedeutung hatte eine verstärkte Institutionalisierung zur Folge. So wurde der Etat des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWIA, gegründet 1927) unter der Leitung von Eugen Fischer zur Zeit des NS-Regime mehr als verdoppelt. Als Gegenleistung hat das Institut, so Fischer, 'sich vor allem [...] in den Dienst der wissenschaftlichen Unterbauung und praktischen Durchführung rassen- und bevölkerungspolitischer Maßregeln des neuen Staates hat'."

Quelle:

Interview mit Prof. Carola Sachse (Audio)


Interview mit Prof. Hans-Walter Schmuhl (Audio)